von AxF
Vertriebsautomatisierung, Sales Force Automation, Sales Acceleration! Die in USA bereits populären Begriffe schillern und versprechen viel. Aber was steckt substanziell dahinter? Um es vorweg zu sagen: (Noch) nichts Revolutionäres, aber eine Vielzahl von „neuen“ Anbietern und Lösungen, die hilfreich sein können, um den Aufwand und Stress im Vertrieb zu reduzieren und die Qualität bzw. Kundenzufriedenheit nachhaltig zu verbessern.
Gemeint sind in erster Linie
- erweiterte CRM-Lösungen inkl. Marketing Automation (z.B. Eloqua von Oracle)
- bzw.Lösungen zur Marketing Automation mit integriertem CRM-System (z.B. von Marketo)
- darin enthalten sind meist (verbesserte) Analyse-Tools & Tracking Tools für den Vertrieb sowie Tools für das Social Media Management. (Alles bereits aus der Marketing Automation bekannt)
- Hinzu kommen Lösungen zur elektronischen Vertragsunterzeichung, für Online-Präsentation (Screen-Sharing), für Video-Konferenzen, zur Datenvisualisierung und um den Spieltrieb des Menschen zu nutzen (Gamification).
Zumeist sind es also (noch) Insellösungen, die man jedoch sinnvoll kombinieren kann, um schließlich
- potenzielle Interessenten (Leads) und aktuelle Kunden früher, schneller und gezielter zu finden beziehungsweise zu bedienen,
- Mitarbeiter von Routineaufgaben oder Reisezeiten zu entlasten,
- eine höhere Effektivität (Abschlussrate, hit rate, conversion rate) zu erreichen.
CRM-Lösungen nannte man bereits zur Jahrtausendwende „Sales Force Automation“. Was schon damals sehr euphemistisch und eher irreführend war. Zusammen mit den ebenfalls bereits bekannten Video-Konferenzen und den Möglichkeiten zur Online-Präsentation (Screen-Sharing) spricht man in den USA jetzt bereits von „Verkaufsbeschleunigern“ (Sales Acceleration). Nun ja, es muss halt verkauft werden…
Bevor Sie aber jetzt sagen „CRM? Haben wir schon!“, „Kennen wir doch alles schon“ oder „Brauchen wir nicht, unsere Kunden wollen ein persönliches Gespräch“, sollten Sie weiterlesen. Ich muss zugeben, dass auch ich zuerst sehr skeptisch war und im Hinblick auf viele unserer Kunden (Unternehmen im Zuliefer- oder Anlagen- bzw. Projektgeschäft; oft Hidden Champions /Weltmarktführer in ihrer Nische) nur sehr begrenztes Einsatzpotenzial gesehen habe.
Inzwischen – nach viel Recherchieren und Analysieren – bin ich zwar noch nicht begeistert (das kommt vielleicht noch), sehe aber doch etliche Einsatzmöglichkeiten und das auch für die anspruchsvollen, beratungsintensiven Vertriebstypen und Geschäftsmodelle. Dafür gibt es zwei Gründe:
- Der Anpassungsdruck für die Vertriebsorganisationen kommt von Kundenseite. Konsumenten nutzen bekanntlich zunehmend das Internet. Aber auch im B2B ändert sich das Kundenverhalten. Einkäufer und andere Mitarbeiter beim Kunden nutzen neue Technologien und erwarten das auch von den Lieferanten.
- Die Vorteile für international agierende B2B-Vertriebe und natürlich für B2C-Vertriebe ohnehin sind im Einzelfall einfach sehr groß. Wer Mitarbeiter im Vertrieb produktiver machen will, wer eine Vielzahl von Vertriebspartnern, Kunden und Ansprechpartner aktiv und effizient bearbeiten will und wer international aktiv ist, kommt zumindest an einer Prüfung der neuen Möglichkeiten nicht vorbei. Denn: Solange 50-95% aller Interessenten beziehungsweise Suchanfragen gar nicht bei den idealen beziehungsweise passenden Anbietern landen, solange die echte Verkaufszeit (customer facing time) beim Außendienst noch immer unter 20% liegt und mehr als die Hälfte dieser Kundengespräche zu früh und mit den falschen Ansprechpartnern stattfindet, solange 80-90% der abgegebenen Angebote nicht nachgefasst werden, bleibt für Automatisierung im Vertrieb noch viel Potenzial.
Wenn Sie also den gesamten Globus als Markt betrachten und die Dynamik in den Märkten und auch innerhalb der Unternehmen ins Kalkül ziehen, verändertes Kundenverhalten antizipieren beziehungsweise adäquat bedienen wollen, werden Sie zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen:
- Digitalisierung ist ein Thema, das man nicht der IT oder den Marketing-Leuten überlassen sollte.
- Digitalisierung im Vertrieb ist für alle B2C- und B2B-Geschäftstypen und Geschäftsmodelle relevant. Auch für Serien-Zulieferer und Anbieter von kundenindividualisierten Lösungen (Großprojekte, Sondermaschinen- und Anlagenbau, Objekteinrichtungen, spezifische Dienstleistungen etc.)
- Digitalisierung im Vertrieb ist ein Thema, das erst jetzt so richtig los geht, weil die Tools immer intelligenter werden und nicht zuletzt auch deshalb, weil sich Kundenerwartungen und Kundenverhalten ändern.
In mehreren Artikeln wollen wir deshalb den Angebotswust systematisieren. Dabei geht es um folgende Fragen:
- Für welche Aufgaben und Probleme im Vertrieb eignen sich die einzelnen Arten von Tools?
- Für welchen Geschäftstyp (Zulieferer, Anlagen etc.), welchen Vertriebsansatz (was ist mit Key Account Management?) und für welche Verkaufsphase eignen sich welche Tools insbesondere?
- Wie nutzt man diese Tools intensiv, ohne den Kunden zum Beispiel mit Spam-Mails und getrackter Werbung zu nerven?
- Welche Kompetenzen braucht es dafür, was ändert sich gegebenenfalls in der Führungs- und Arbeitskultur des Vertriebs? Wie implementiert und nutzt man diese Tools und wie gewinnt man die betreffenden Mitarbeiter als Unterstützer und Nutznießer?
Bevor ich mich in den nächsten Monaten und verschiedenen Beiträgen an einer Systematisierung des unübersehbaren und ständig wachsenden Angebots versuche, mache ich in der nächsten Folge noch ein kleines Beispiel wie Digitalisierung im Vertrieb aussehen kann.
Stellen Sie sich einfach mal vor, dass ein Verbraucher oder ein Mitarbeiter eines Unternehmens im Internet nach den Produkten sucht, die Sie anbieten. Solche Anfragen, das wissen Sie, erfolgen pro Tag oder Woche zehnmal oder auch millionenfach. Je nachdem, um welche Produkte es sich handelt. Das könnten spezielle Schrauben sein, ein elektronisches Bauelement oder eine hochqualifizierte Dienstleistung, ein kostspieliges Analysegerät fürs Labor oder ein vollautomatisiertes Hochregallager etc.
Das Automationssystem erkennt (trackt) die Suche und schlägt dem Interessenten bereits passende Produkt-Unterlagen vor und – bei entsprechendem Einverständnis – sendet das System nicht nur die Unterlagen, sondern auch gleich die Telefonnummer des zuständigen Kundenberaters sowie einen Terminvorschlag für eine Präsentation auf einer der einschlägigen Plattformen. Darauf kann der Interessent reagieren oder nichts tun und zunächst anonym bleiben. Das Trackingsystem wird ihn allerdings in bestimmten Zeitabschnitten immer wieder mit Werbung oder auch mit Neuigkeiten (zum Beispiel Messeterminen) automatisch kontaktieren.
Gibt sich der Interessent beispielsweise mit seiner Email-Adresse zu erkennen, werden auf der Seite des Vertriebsmitarbeiters die eingehenden Leads durch entsprechende Tools und frei verfügbare Daten aus den sozialen Netzwerken zu den Ansprechpersonen ergänzt und damit auch qualifiziert und in ihrer Wichtigkeit eingeordnet. Jetzt kann der Vertriebsmitarbeiter aktiv werden und kann den „Reifungsprozess“ des Kunden (Customer Journey) zum Beispiel mit einem ersten Telefonat unterstützen oder ihm (automatisiert) eine Kundenreferenzliste zusenden lassen, idealerweise mit Referenzkunden aus der Branche des Kunden. Je nach Länge des Verkaufszyklusses und dem betreffenden Einkaufsvolumen (Transaktionswert) finden die nächsten Kontakte persönlich statt oder es bleibt (zunächst) bei Distanzkontakten. Nach Abgabe eines Angebots sind simple Nachfass-Aktionen ebenfalls automatisierbar, ohne dass der Kunde etwas vermisst. Auch Verhandlungen und kompliziertere Vertragsabschlüsse benötigen nicht immer eine physische Präsenz der Beteiligten am gleichen Ort.
Der entscheidende Punkt ist es, die Effektivität der einzelnen Schritte und die Erwartungen des Kunden im Ablauf des Verkaufszyklusses richtig einzuschätzen und im richtigen Moment bei den wirklich interessanten Ansprechpartnern persönlich präsent zu sein.
Um einen Überblick über die Digitalisierung und Automatisierung im Vertrieb zu gewinnen, versuche ich mich im (bald folgenden) zweiten Teil zunächst einmal mit einem Überblick zu den Anbietern und Lösungen.
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