Die Möglichkeiten neuer Technologien in Marketing und Vertrieb und damit der Produktivitätsver-besserung werden stetig größer und kostengünstiger. Auch im Mittelstand und in kleineren Unternehmen beschäftigen sich deshalb immer mehr Verantwortliche mit den Möglichkeiten des digitalen Marketings und den Technologien, die helfen können, den Vertrieb schneller und produktiver zu machen.
Der nachfolgende Beitrag soll dazu dienen, insbesondere die Erwartungen und die Suchziele von Seiten des Vertriebs zu klären, die im Falle einer geplanten Beschaffung diskutiert werden müssen. Weil die Etikettierungen „CRM“, „Automation“ etc. nicht eindeutig sind, gilt es falschen oder zu hohen Erwartungen, Missverständnissen und Fehlannahmen – zum Beispiel zur Kompatibilität mit bereits existierenden (CRM- oder ERP-)Lösungen – vorzubeugen. Bevor ein aufwändiges Beschaffungsprojekt aufgesetzt wird, sollte deshalb möglichst (selbst-)kritisch geklärt werden:
- Welche Engpässe im Vertrieb beziehungsweise im Absatzsystem müssen primär beseitigt werden oder laufen wir Gefahr, das Budget falsch zu verwenden beziehungsweise das Pferd von der falschen Seite aufzuzäumen?
- Welche Lösungen beseitigen unsere wahren Engpässe nachhaltig?
- Ist es klug, auf das bestehende CRM-System aufzusetzen oder wollen wir etwas völlig Neues?
- Wollen wir eine Cloud-Lösung oder nicht? Was sind die wahren Gründe unserer Entscheidung?
Digitalisierung im Vertrieb ist zum aktuellen Stand ein Stückwerk. Es gibt keine allumfassende, vollintegrierte Gesamtlösung für den Vertrieb. Wohlgemerkt: für den Vertrieb! Anbieter von Marketing Automation beziehungsweise integrierten CRM-Systemen, die das Gegenteil behaupten, darf man bei diesen Aussagen nicht Ernst nehmen. Die bekannten all-in-one-Plattformen (zu den verschiedenen Anbietern siehe hier) bieten neben einer CRM-Lösung (sprich: Kundendatenbank), jede Menge Analyse-Tools und eine große Bandbreite zur digitalen Marketing-Kommunikation (nicht zuletzt: E-Mail-Automatisierung). Wer aber mehr Produktivität für die eigentlichen, operativen Vertriebsprozesse gewinnen will, also beispielsweise mehr Umsatz pro Außendienst-Mitarbeiter erzielen möchte, kommt derzeit noch nicht darum hin, verschiedene Elemente – das heißt Anbieter und Technologien – zu kombinieren und sich somit ein Sammelsurium von Insellösungen ins Haus zu holen.
Um keine falschen oder zu hohe Erwartungen zu schüren, ist es hilfreich, die Digitalisierung im Vertrieb nicht in einen Topf zu werfen mit der Marketing-Automation (also dem digitalen Marketing). Auch wenn die Übergänge fließend sind: Marketing-Automation bietet nur im Rahmen des sogenannten Lead Nurturing einen automatisierten Beitrag zur Erstversorgung, Qualifizierung von Anfragen und Kontakten und damit zur Entlastung des Vertriebs.
Um dem Vorwurf der falschen Versprechung „Vertriebsautomation“ zu entgehen, sprechen einige Anbieter, deren Produkte vor allem die Vertriebsseite adressieren, deshalb auch nicht von Sales Automation sondern von Sales Acceleration (Beschleunigung). Ob das eine realistischere Etikettierung ist, möchte ich hier nicht weiter diskutieren.
Vor der Beschaffung neuer Lösungen müssen Entscheider also genau klären, wo die Engpässe im Absatz-System sind: Brauchen Sie mehr Leads, dann kann eine Investition in ein System zur Marketing Automation sinnvoll sein. Wenn man aber digitales Marketing betreibt und damit viele Leads generieren will (was sonst?), dann ist es sehr sinnvoll, die Pflege, Bewertung und Bearbeitung dieser Leads so weit zu digitalisieren, dass der potenzielle Kunde sehr schnell, unmittelbar und aufbauend mit Informationen und Kontaktpunkten (sog, Touchpoints) versorgt und qualifiziert wird.
Brauchen Sie dagegen mehr Produktivität im späteren Verlauf der Pipeline (des Sales Funnels), dann müssen andere Lösungen her. Zum Beispiel der konsequente Einsatz von Web-Präsentationen und Web-Meetings.
Die Entwicklung und das Angebot neuer Lösungen kommen aus verschiedenen Lagern. Deshalb ist die Vielfalt groß, die Übersicht zu behalten schwierig und ein Vergleich in vielen Fällen unmöglich. Das „Puzzle“ der angebotenen Lösungen reicht von
- verschiedensten Insellösungen für digitales Marketing zum Beispiel
- zur Datenanalyse,
- zur web-gestützten Marketing-Kommunikation (E-Mail-Marketing)
- zur Suchmaschinen-Optimierung
- zur Datenanreicherung (z.B mit Firmen- oder Personeninformationen aus XING oder LinkedIn) und Datenextraktion von Webseiten (sogenannte Web scraping oder Screen Scraping-Technologien) Software, die die entsprechenden Informationen (zum Beispiel bei XING oder LinkedIn) findet und ins CRM-System einfüttert.
- über umfassende Marketing-Plattformen
- historisch kommend aus dem digitalen Marketing sind das Lösungen zur web-gestützten Marketing-Kommunikation, ergänzt um eine Kunden-Datenbank (CRM-System) z.B. von den relativ neuen Anbietern im Markt: Hubspot oder Marketo;
- historisch kommend aus dem CRM, sind das folglich CRM-Systeme erweitert um die Möglichkeiten der web-gestützten Marketing-Kommunikation und Datenanreicherung (im Ergebnis sollen sie das gleiche oder mehr liefern als die zuvor genannten Lösungen der „neuen“ Anbieter im Markt). Das sind die Lösungen der etablierten Anbieter: IBM, Oracle etc.
- bis hin zum genannten Sammelsurium von Insellösungen für den Vertrieb beziehungsweise zur Auftragsabwicklung. Das sind
- PC-gestützte Web-Konferenzen und Bildschirm-Präsentationen (im Prinzip ebenfalls altbekannt, z.B. WebEx, Slideshare etc.)
- Angebots- und sonstige Vorgangsbearbeitung mit Dokumenten-Managementsystemen und definierten Workflows inklusive sogenannter end-to-end-Lösungen zur vollständigen Digitalisierung eines Auftragsprozesses (auch Quote-to-cash-Lösungen genannt).
Digitalisierung in Maketing und Vertrieb kann Vertriebsmitarbeiter sehr viel effektiver machen,
- wenn mehr geeignete Leads eintreffen oder generiert werden. Dies kann entweder über sog. Inbound Marketing oder intelligent konzipierte Kampagnen geschehen (Lead Generation).
- wenn Interessenten, die sich noch im Frühstadium der Entscheidung befinden, automatisch mit Informationen versorgt und auch für längere Zeit ohne großen Aufwand „bei der Stange“ gehalten werden können (Lead Nurturing).
- wenn Mitarbeiter anstelle von regelmäßigen Besuchen bei ihren Lieblingskunden, diese Kontakte mit Newsletter versorgen und öfter einmal eine Web-Konferenz oder eine Web-Präsentation machen.
- wenn Mitarbeiter bessere Präsentationen und kundenorientiertere Angebote machen beziehungsweise bessere Entscheidungen treffen, nachdem sie beispielsweise zur Terminvorbereitung oder zur Buying-Center-Analyse sich im CRM-System die angereicherten Informationen angesehen haben, die mit Hilfe einer Software aus dem Web geholt und ins CRM-System einfüttert wurden.
- wenn Mitarbeiter nicht mehr zu einem Neukunden beziehungsweise Interessenten fahren, bevor nicht eine Web-Präsentation gemacht wurde.
Mit anderen Worten: Digitalisierung im Vertrieb ersetzt noch lange keine Verkäufer. Zumindest wenn der Kunde individuelle Beratung braucht sowie Leistungen und Preise spezifisch festgelegt werden müssen. 60-90% der Wertschöpfung in einem beratenden Vertrieb können n i c h t (zumindest derzeit und in absehbarer Zukunft) von Robotern übernommen werden. Abgesehen vom Vertrieb über einen Webshop – bei dem ja keine menschliche Interaktion angestrebt wird – sind es also zwischen 10-40% der Vertriebsarbeit, die für eine Digitalisierung (Automation) zugänglich sind.
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